Nur noch in Gedanken möchte ich mich nochmals hineinbewegen, in die als solche bezeichnete Mitternachtsquadrille. Entlehnt aus der Operette ... Die Fledermaus. Schon war's kurze Zeit nach Mitternacht, Sonntag war's da auch schon, als die aus der Operette "Die Fledermaus" entlehnte Mitternachtsquadrille eingeleitet wurde, fortgeführt und schließlich bis zu deren Ende fertig getanzt. Unpünktlich war sie gewesen, die Mitternachtsquadrille auf dem Ball der Vereinten Nationen in der Wiener Hofburg. Sie war's, die Mitternachtsquadrille, die für mich erstmaligen Ballbesuchsmenschen als eine prominente Sensation der Wiener Balltradition, damit eines Teiles von der Wiener Tradition als Ganzes, Vereinte Nationen hin, Vereinte Nationen her, erkennbar wurde. Bei der Mitternachtsquadrille, da war's dann soweit, als sich eine Vielzahl von Menschen zu einer Art von Frontalvergatterung einfand, sich derselben hingab. Die Mitternachtsquadrille, die vermittelte uns, der Elisabeth, dem H., der A. und auch mir selbst, die wir zu viert die Ballveranstaltung der Vereinten Nationen in der Wiener Hofburg besuchten, den Höhepunkt von Übertreibungsgestikulation hin zu einer eigenwilligen Tanzbodenverklebung einer menschlichen Bewegungsdisharmonie. Bei der Mitternachtsquadrille also, entlehnt aus der Operette "Die Fledermaus", da bildeten die den Ball besuchenden Menschen Knäuel, verknoteten, verketteten sich ineinander, begaben sich in sonderbare Stellung. Die Mitternachtsquadrille, die war ihre eigene, ihre einzige Verhaltensüberauffälligkeit von so vielen Menschen auf so engem Festsaaltanzraum, die war verstört durch körperliche Dysfunktionalitäten und auch durch andere Faktoren, jene Mitternachtsquadrille.
Ohne zu wissen, wie die Elisabeth, der H. und auch die A. das empfanden, war die Mitternachtsquadrille für mich selbst zumindest ähnlich einer zentral verriegelten Ringelreihbeabsichtigung dieser jener den Ball besuchenden Rauschnachtanhängerschaft, die sich einem konzertierten, gestrichenen wie geblasenen Einlullkonzentrat des Ballorchesters - selbst wiederum geleitet von einer Art des redlichen Bemühens um Strukturkultur - freiwillig auslieferte.
Die Mitternachtsquadrille wurde bald schon angesehen, empfunden von mir wie ein Eiertanz auf einem die Gefahr der Selbstverschlingung durchaus bergenden Tanzbodenabgrund. Sie glich sich einem Aufbegehren des scheinbar vereinheitlichten, stets ungelungenen Tanzschrittversuchs, vielmehr einer sehr rasch dann schon immer wieder von Neuem sich wiederholenden und auch auseinander stampfenden Tanzschrittimprovisationsfrequenz, einer wild durcheinander gewürfelten Ineinanderüberläuferei nur so an. Während der ganzen Mitternachtsquadrille, da verwandelte sich der Tanzboden zum prallvollen Planquadrat der bald eingefädelten internationalen Tanzpartnerschaft. Die Mitternachtsquadrille also, eine massenhafte Extremvermischung, eine Vermengung von vielen Extremitäten in andauerndem Musikgetöse. Wie ein Tanzhallenrezidiv, in welchem wir uns mehr weniger als mehr aneinander schmiegten, aneinander glitten, durch das wir hetzten wie wetzten. Die Mitternachtsquadrille als eine zufallsgenerierte Fügung unser aller Zusammen innerhalb von einem Tausendtanzland. Die Elisabeth, der H., die A. und auch ich, das darf ich wenigstens mit einiger Sicherheit an dieser Stelle behaupten, wir flüchteten uns in ein Raunen hinein, harmlos und nicht anders könnend. Wir fanden unser aller Entzweiung im Bestaunen von Durcheinander. Wir zogen unsere Beine hoch, ließen sie wieder auf den Tanzboden herab, wir bückten uns, gerückt zueinander wurden wir ganz wie von selbst, wir wurden sogar aneinander gedrückt, wir wurden hinein gesogen schon in ein Ungestüm gemeinsamer Annäherung und wieder deren Gegenteil im Tanzungleichschritt.
Wie ich meine, war es die sich am Tanzen, gleich wie sich dieses Tanzen formte, am meisten von uns Vieren erfreuende Elisabeth, die jenen einzigen Zentrifugalakt, gleichzeitig jenen einzigen Zentripetalakt der sich eingefunden habenden Tanzwütigen, den die Mitternachtsquadrille wie nichts anderes während der ganzen Ballveranstaltung der Vereinten Nationen abbildete, als Anschaulichkeit für ihren Willen zum ununterbrochenen Tanz oder zu so etwas Ähnlichem erkannte. Die Elisabeth, der H., die A. und auch ich selbst, bei der Mitternachtsquadrille waren wir allesamt tanzmusiküberschallt verabsolutiert worden zu einer Bewegungssymbiose eigen- und einzigartigen Ausmaßes. Ich selbst, das möchte ich noch anmerken, hatte eine einzige Assoziation während der Mitternachtsquadrille, nach kürzester Zeit schon eine einzige Assoziation, die sich anlehnte an eine imaginäre fernöstliche Ameisenkolonie. Die Mitternachtsquadrille, fernöstlich wie ameisenkolonial mich anmutend, da so viele Menschen sich auf für so viele Menschen viel zu klein ausgefallener Tanzfläche für einen Zustand der Überdrehtheit, der Schwingung, der Rotation um all die vielen eigenen Achsen, des Aneinanderstoßens, des Rücken-, des Hüft-, wie auch des Wangenkurzkontakts, wie mir schien, einigermaßen willenlos der Verfügung übergaben. Fernöstlich ameisenkolonial, da sie sich bei all dem voreinander verbeugten, einander zudienerten wie zuknicksten, dabei eine Dauergrinsgesichtsphysiognomie auftrugen, die wiederum meine Mundwinkel zu einem Einfrieren hinzog, meine Mundwinkelreaktionsverzögerung verfestigte. Die Mitternachtsquadrille rief, ich darf mich wiederholen, in mir eine sonderbare Gefühlswelt hervor, in ihr die Assoziation an die fernöstliche Ameisenkolonie.
Ohne währenddessen bloß annähernd gewusst haben zu können, welche durch reges Treiben verursachten Spontanassoziationen in der Elisabeth, dem H. oder der A. entstanden oder auch nicht entstanden hätten sein können. Auch kann ich mich noch ganz genau daran erinnern, denk ich zurück an die Mitternachtsquadrille, dass für meinen Teil ich selbst während der Mitternachtsquadrille mehrere Dutzend an fremden Damenhandflächen in meine eigenen Handflächen sehr jäh und plötzlich und unregelmäßig hineingelegt bekommen habe. So schnell wie sie in die meinigen Handflächen hineingelegt worden sind, die vielen fremden Damenhandflächen, mindestens ebenso schnell sie auch schon wieder verschwunden waren, anderswo gelandet, in wieder andere, noch viel fremdere Handflächen hineingelegt. Und die Hitze, die regierte nicht bloß während der Mitternachtsquadrille, die war allerorts, zu jeder Zeit, immer und überall auf der ganzen Ballveranstaltung der Vereinten Nationen. Die internationale Hitze.
Dazu geschrieben gehört einfach, dazuzuschreiben geziemt es sich fast schon, dass ganz besonders während der Mitternachtsquadrille Kniekehlen während der größten Hitze von allen Ballhitzen sich ineinander verhakten, sich die Enden von Stöckelschuhwerk meine Fußspitzen in Angriff immer wieder nahmen, dass meine Iliosakralgelenke, mit ihnen zumindest mein gänzlicher Beckenbereich einer überstrapazierten Form von Mobilisierung unterworfen wurden. Auch, dass jener ameisenkoloniale Schichtverrichtungsdienst, der sich in einem fort auf der Tanzfläche zutrug, all das während der Mitternachtsquadrille, von sich kreuzenden, sich querenden, einander weitgehend durch die Frontalvergatterung zusammen flechtenden Körperteilen herbeigeführt wurde. Einem Nahkampfspektakel war die Mitternachtsquadrille bestimmt nicht gänzlich unähnlich. Und die Hitze, die durch die Menschentraube auch noch potenzierte, die hat mir zugesetzt, die hat den Eindruck von einer hoch und noch höher geschraubten internationalen Sauna, allenfalls eines Schwitzhauses der Vereinten Nationen mir sofort vermitteln können. Überall Hitze, vor allem im großen, im festlich überverzierten Ballsaal. Die Elisabeth, die niemals an diesem Abend, in dieser Nacht, an diesem frühen Morgen müde werden zu Scheinende, sie war es, die den H., die A. und auch mich durch die ganze Ballveranstaltung gleichsam durchschleuste.
Die Elisabeth, die war es auch, die den H. als Tanzpartner für die A. anlässlich jener Festivität vorgesehen hatte. Die A., die sollte mit dem H. tanzen, wann immer beide das miteinander wollen würden, so wird sich die Elisabeth, wie ich nur annehmen kann, das noch vor der Ballveranstaltung der Vereinten Nationen wohl vorgestellt haben. Ich hätte der Tanzpartner von der Elisabeth sein sollen- ebendort und ebendann. Allein, der H. war es, der sich zu früher Stunde schon, ziemlich in Vollkommenheit abgewandt von der A., nur noch auf die Elisabeth konzentrierte. Die Elisabeth, sie befand sich dann in einem Zustand des permanenten Anvisiertwerdens seitens des H., der sich ein Beharrungsvermögen darin zu eigen gemacht hat, das dem Beharrungsvermögen von der tanzwütigen Elisabeth in dessen Intensität würdig war. Der H., der zeigte sein Beharrungsvermögen in klettenhafter Umgarnung, ja, in Umhüpfung von der Elisabeth. Da der H. ebenso wie ich nicht tanzen mehr gekonnt hatte, da er wie ich sämtlichen Standardtanz schon längst verlernt hatte, der H., blieb ihm gar nichts anderes übrig, als in seinem Beharrungsvermögen, welches er im Gegenteil nicht verlernt, vielmehr sich bei dieser Ballveranstaltung erst so richtig angelernt hatte, die Elisabeth ständig zu umhüpfen in dauernder Umgarnung. Anstatt mit der Elisabeth einigermaßen richtig zu tanzen. Die Elisabeth, die A. und auch ich, wir waren machtlos, richtiggehend außer Gefecht gesetzt von diesem Beharrungsvermögen des H. Und müde waren zumindest die A. und auch ich ebenfalls schon sehr. Die Elisabeth, die war es, die den H. um sich andauernd herum alsbald hat hüpfen lassen müssen, den H. über sich ergehen lassen musste- beim Hüpfen. Zu einem Magnetpol, zu einem Fluchtpunkt gemacht wurde die Elisabeth von jener einzigen Hüpfkonstanten, dem H., auf einmal. Bis zum Ende der Ballveranstaltung der Vereinten Nationen in der Wiener Hofburg gab es für den H. nur eine Einzige...
Die Elisabeth.